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FreiSchwimmer

15 Minuten zur Freiheit mit O.M.A

 

             

 

 

Rem Kohlhaas

Holländer, Drehbuchschreiber, Architekt, Hochschullehrer gründete vor 30 Jahren zusammen mit Madelon Friesendorp, Elia und Zoe Zenghelis das Office for Metropolitan Architecture (OMA) und wurde in den folgenden Jahren zum einflussreichsten Architekten der Gegenwart. Durch Wettbewerbe, Projekte und Bauten entwickelte er die Ansätze der Klassischen Moderne weiter und befreite diese von ihren selbst auferlegten Begrenzungen durch immer wieder neue Fragen und Antworten.

Zu Beginn seiner Laufbahn schrieb er das Buch Delirious New York, in dem er ganz assoziativ verschiedene Aspekte der Architektur am Beispiel der amerikanischen Großstadt behandelte.

Die Geschichte vom schwimmenden Swimmingpool haben wir ausgewählt, weil sie auf poetische Art die Balance zwischen Freiheit und Begrenzung, Möglichkeiten und Grenzen zeigt.

Wir bitten Sie nun mit uns ins Wasser zu gehen um diese Geschichte in ihrer adäquaten Umgebung genießen zu können.

Die Geschichte vom Pool (1977)

Moskau, 1923

Eines Tages entwarf ein Architektur-Student in einer Schule einen treibenden Swimming Pool. Niemand erinnerte sich, wer es war. Die Idee hatte in der Luft gelegen. Andere entwarfen fliegende Städte, sphärische Theater, ganze künstliche Planeten. Jemand musste den treibenden Swimming Pool erfinden. Der treibende Pool - eine Enklave der Reinheit in kontaminierter Umgebung - schien ein erster Schritt, bescheiden aber radikal, in einem allmählichem Plan, die Welt durch Architektur zu verbessern.

Um die Stärke dieser Idee zu beweisen, entschieden die Architektur-Studenten, in ihrer freien Zeit einen Prototyp zu bauen. Der Pool war ein langes Rechteck aus mit einem Stahlrahmen verschraubten Metallblechen. Zwei endlos erscheinende linear angeordnete Kabinen formten die Längsseiten - eine Seite für Frauen, eine für Männer. An jedem Ende war eine Glaslobby aus zwei transparenten Wänden, eine Wand zeigte die gesunden, manchmal aufregenden Unterwasseraktivitäten im Pool, die andere sich quälende Fische in verseuchtem Wasser. Es war geradezu ein dialektischer Raum, benutzt für ein physikalisches Experiment, künstliches Sonnenbaden und Sozialisation zwischen meist nackten Schwimmern.

Der Prototyp wurde zur berühmtesten Struktur in der Geschichte der modernen Architektur. Entsprechend dem chronischen sowjetischen Arbeitsmangel wurden die Architekten/ Erbauer auch Rettungsschwimmer. Eines Tages entdeckten sie, dass sie, wenn sie ganz synchron, in regelmäßigen Zügen von einem Ende des Pools zum anderen schwammen, der Pool sich langsam in die entgegengesetzt Richtung bewegte. Sie waren verblüfft über diese unfreiwillige Fortbewegung; eigentlich aber war es durch ein einfaches Gesetz der Physik zu erklären: Aktion = Reaktion.

In den frühen Dreißigern wurde die politische Situation, die einst so anregend für solche Projekte wie den Pool war, starr und beunruhigend. Ein paar Jahre später wurde die Ideologie, die der Pool vertrat,(der inzwischen schon etwas rostig aber genauso populär wie zuvor), sogar suspekt. Seine Idee, seine Beweglichkeit/(Verschlagenheit), seine geradezu unsichtbare physische Präsenz, die eisbergartige Qualität seiner untergetauchten sozialen Aktivität, all die wurde plötzlich subversiv.

In einem geheimen Treffen entschieden die Architekten/Rettungsschwimmer den Pool als ein Vehikel zur Flucht in die Freiheit zu benutzen. Durch die inzwischen gut erprobte Methode des Selbstantriebs konnten sie jeden Ort am Wasser erreichen. Es war nur logisch, dass sie nach Amerika wollten, nach New York. In gewisser Weise konnte man den Pool als einen Manhattan-Block betrachten, hergestellt in Moskau, der nun seine logische Bestimmung erreichen würde. Früh am Morgen in den stalinistischen Dreißigern dirigierten die Architekten den Pool weg von Moskau, indem sie unerbittlich ihre Bahnen zogen, immer in Richtung der goldenen Zwiebeln des Kreml.

New York, 1976

Nach vier Dekaden der Atlantik Überquerung waren ihre Schwimmanzüge beinahe zerfallen (einer Standardisierung zur Vereinfachung und Beschleunigung der Produktion von 1922 folgend waren die Vorder- und Rückseiten der Anzüge identisch). Sie kochten auf einem primitiven Herd, lebten von Kohl- und Tomatenkonserven und dem Fisch, den sie bei Tagesanbruch im Pool fanden, von den Atlantikwellen hereingespült. (Obwohl sie eingesperrt waren, ließen sich die Fische wegen der immensen Größe des Pools schwer fangen.)

Dass sie schließlich ankamen, entging ihnen fast - mussten sie doch von dem Ort wegschwimmen, den sie erreichen wollten. Es war eigenartig, wie vertraut ihnen Manhattan vorkam. Sie hatten immer von Edelstahl-Chryslers und fliegenden Empire-States geträumt. In der Schule hatten sie sogar viel kühnere Träume, für welche, ironischerweise, der Pool ein Beweis war (fast unsichtbar- praktisch eingetaucht in der Verseuchung des East-River): Indem er die Wolken auf seiner Oberfläche spiegelte, war er mehr als ein Wolkenkratzer- es war ein Ausschnitt der Himmels hier auf der Erde.

Nur die Zeppeline, die sie 40 Jahre zuvor den Atlantik mit wütender Geschwindigkeit überqueren sahen, fehlten. Sie hatten erwartet, sie über der Metropole schweben zu sehen, gleich einer dichten Wolken schwereloser Wale.

Als der Pool in der Nähe der Wall Street anlegte, waren die Architekten/ Schwimmer/ Rettungsschwimmer schockiert über die Uniformität (in Kleidung und Benehmen) ihrer Besucher, welche das Boot mit brutaler Hetze durch die Kabinen überrannten, die Anweisungen des Verantwortlichen vollständig ignorierend.

Hatte der Kommunismus Amerika erreicht, während sie den Atlantik überquert hatten? fragten sie sich mit Entsetzen. Dies war genau das, wogegen sie geschwommen waren, diese Rohheit, Mangel an Individualität, welch noch nicht einmal verschwand, wenn sie aus ihren Anzügen stiegen. Sie legten schockiert ab, lenkten den Pool weiter flussaufwärts, ein rostiger Lachs, bereit um endlich zu laichen?

3 Monate Später

Die New Yorker Architekten waren beunruhigt durch den plötzliche Einfluss von Konstruktivisten. Die New Yorker zögerten nicht, das Design des Pools zu kritisieren. Sie waren nun alle gegen die Moderne, sie alle beschwerten sich, der Pool sei so verbindlich, so rechtwinklig, so wenig abenteuerlich, so langweilig; es gäbe keine historischen Anspielungen; keinerlei Dekorationen; es gäbe keinen Schnitt, keine Spannung, keinen Witz- nur gerade Linien, rechte Winkel, nur die eintönige Farbe des Rostes. In seiner ruchlosen Einfachheit bedrohte der Pool sie.

Dennoch, wohl um den Konstruktivismus hinter sich zu bringen, entschieden sich die New Yorker, den sogenannten Kollegen eine kollektive Medaille in einer unscheinbaren Zeremonie am Ufer zu verleihen. Vor dem Hintergrund der Skyline hielt der Sprecher der New Yorker Architekten eine gnädige Rede. Die Medaille trüge eine alte Inschrift aus den Dreißigern, ermahnte er die Schwimmer. Sie wäre nun nicht mehr relevant, sagte er, aber keiner der gegenwärtigen Architekten von Manhattan war fähig sich ein neues Motto ausdenken zu können.

Die Russen lasen. Es lautete: "Es gibt keinen einfachen Weg von der Erde zu den Sternen." Während er in den sternklaren Himmel blickte, der sich im engen Rechteck ihres Pools spiegelte, antwortete einer der Architekten/Rettungsschwimmer, noch von der letzten Schwimmbahn tropfend, für sie alle: "Wir kamen gerade von Moskau nach New York...."

Darauf tauchten sie ins Wasser und nahmen ihre vertraute Formation ein.

Normalerweise bekommen Sie ja bei bestandener Prüfung ein Abzeichen.

Ein Zeichen dafür, dass sie es geschafft haben. Dass sie sich frei geschwommen haben. Sie erinnern sich vielleicht, so ein kleine blaue Welle auf weissem Rund, was man dann ganz stolz auf der ebenso blauen Kinderbadehose trug.

Nun sie haben Sich ja auch freigeschwommen und sind nun vollkommen frei auf solche Statussymbole zu verzichten.

Dafür bekommen sie von uns eine Freikarte . . .

In der Ausgestaltung und Benutzung haben Sie entsprechend ihrem Freischwimmvermögen die Freie Auswahl . . .